Verhaltenspsycholgie vor Trauma- und Tiefenpsycholgie?

  • Hey Community,
    mich beschäftigt zur Zeit eine wichtige Frage.


    Kurz zu meiner Person: Ich wurde zwischen meinem 5. und 16. Lebensjahr fast täglich missbraucht, an dere "verliehen" , zur Prostitution gezwungen und des öfteren physisch und psychisch gefoltert. Sehr früh (mit acht) fing ich an Drogen, Alkohol oder Medikamente zu nehmen.
    Ich wuchs bei vielen verschiedenen Familien auf und entwickelte mich dementsprechend langsam bis gar nicht. Bis zu meinem 22. Lebensjahr (letztes Jahr) war ich der Sucht verfallen und rutschte täglich immer tiefer.


    Letztes Jahr August kam ich mit einer erneuten Überdosis in die Psychiatrie zu Entgiftung. Von dort aus folgten Aufenthalte in diversen Sozial-Therapeutischen Einrichtungen und einer sechsundzwanzig-wöchiger Entwöhnungstherapie mit anschließender Adaptionsbehandlung.
    Nun bin ich seid einem Jahr und vier Monaten komplett Clean. Das Problem nur ist dass alles was ich seid meinem zehnten Lebensjahr mit den Drogen und co unterdrückt habe, nun schlagartig auf mich ein stürzt.
    Ich werde zwar fast monatlich neu medikamentös eingestellt, doch das bringt nie lange etwas. Mir wurde gearten eine Trauma- und Tiefenpsycholgin auf zu suchen. Doch ich fühle mich noch nicht bereit dazu, so gerne ich auch das alles hinter mir lassen will.


    Mir wurde unteranderem geraten auch dringend noch eine Verhaltenspsycholgin zu kontaktieren. Meine Frage nun, ist es sinnvoll zuerst sich mit Verhaltenspsycholgie zu beschäftigen und danach erst in die Trauma- und Tiefenpsycholgie ein zu steigen, sozusagen als "Warm-Up"? ?( 


    LG Ragnar

  • Hallo Ragna,


    erst einmal allgemein: Traumatherapie ist kein eigenständiges Verfahren, sondern eine Behandlungsmethode. Das heißt, auch eine Verhaltenstherapie (was ein Verfahren ist) kann eine Traumatherapie sein. Genauso muss eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie (auch ein Verfahren) nicht unbedingt gleichzeitig eine Traumatherapie sein.
    Meine Erfahrung ist, dass es insgesamt anzuraten ist sich einen Therapeuten zu suchen, der eine zusätzliche Ausbildung in Traumabehandlung hat, und das Du vor allem darauf achten solltest, dass die Chemie zwischen Euch stimmt. Du also merkst, dass Du dem Therapeuten vertrauen kannst. Ob Du persönlich nun eher mit dem verhaltenstherapeutischen Verfahren klar kommst, oder eher mit dem tiefenpsychologisch fundierten, dass kannst Du in den ersten 5 sogenannten probatorischen Stunden herausfinden. Diese Stunden sind dazu da, damit Du den Therapeuten und seine Arbeitsweise kennenlernen kannst. Passt es nicht, oder hast Du ein "seltsames"/leicht ungutes Bauchgefühl dabei, dann suche lieber einen anderen Therapeuten. Oft ist die Suche nach dem passenden Therapeuten langwierig und anstrengen, im Endeffekt lohnt es sich aber und zahlt sich aus.
    Deine Krankenkasse kann Dir zB. dabei helfen Therapeuten zu finden, die auch Traumabehandlung anbieten. Ansonsten steht das auch oft auf den Internetseiten der Therapeuten, oder Du kannst die Therapeuten auch direkt fragen.


    Lieben Gruß
    tina

  • Hallo Ragnar,


    ich mache Trauma- und Verhaltenstherapie in einem. Angefangen haben wir damit, daß ich erstmal lernen mußte, mich selbst wahrzunehmen (daran hapert es aber noch immer, weswegen ich mich jetzt allmählich der Körpertherapie zuwende), und meine Therapeutin und ich haben uns auf die Bewältigung des Alltags konzentriert. Also, welche Verhaltensweisen kann ich ändern, damit ich mir selbst Druck nehme etc. Da ich starke Probleme damit habe, andere Menschen zu verstehen (Autismus-Spektrum), hat sie mir oft einfach erklären müssen, warum sich andere so und so verhalten. All das trug dazu bei, daß ich im Alltag eine Stabilisierung erfuhr. Dann kamen Traumainhalte ganz automatisch hoch, so daß wir uns dann diesen zuwandten. Sie war da ehrlich gesagt sehr viel zögerlicher als ich. Ich selbst wollte die Konfrontation und manchmal ist das auch entgleist, aber den Preis war ich zu zahlen bereit.


    In meiner Therapie gibt es kein echt stringentes Vorgehen, weil ich komplex, mehrfach und langjährig traumatisiert bin. Meine Therapeutin hat mir das Bild eines stark verzweigten Netzes für meine Situation gegeben. Wenn ich an einer Stelle zupfe, geht eine andere Stelle los etc. Darum kann ich in meiner Therapie die Phasen von Stabilisierung, Auseinandersetzung, Integration etc. nicht voneinander trennen. Ich muß es nehmen, wie es gerade kommt, und meine Therapeutin begleitet mich dabei.


    Sie hat mir übrigens ziemlich direkt von Tiefenpsychologie abgeraten, weil sie meinte, daß das ihrer Ansicht nach nur selten was bei komplexer Traumatisierung bringt, eben weil man sich da ja alles schmerzhaft genau anguckt und auch versucht, Täter zu verstehen. Daran ist mir persönlich nicht gelegen. Ich lehne es ab, auch nur einen Hauch von Verständnis oder Mitgefühl für die Täter zu entwickeln, und damit lebe ich sehr gut. Aber das ist eben ganz persönlich und Geschmackssache - für andere ist Vergebung oder so ein wichtiger Teil des Umgangs mit Traumainhalten.


    Ich hoffe, das hat Dir jetzt irgendwie weitergeholfen.


    LG
    Liam

  • Hallo Liam,


    das, was Du über die tiefenpsychologisch fundierte Traumatherapie sagst stimmt so nicht. Ich selber bin in diesem Therapieverfahren mit komplexer Traumatisierung und da wird nicht daran gearbeitet, Verständnis für die Täter zu bekommen. Und mir hat diese Therapie schon enorm geholfen.
    Nicht jedes Therapieverfahren spricht jeden an, deshalb sollte man offen unterschiedliche Verfahren und Therapeuten ausprobieren und sich nicht von der Meinung anderer beeinflussen lassen.
    Was die Konfrontation betrifft: egal welches Verfahren angewandt wird, es bestimmt immer der Klient mit dem Therapeuten zusammen wie diese abläuft. Wichtig bei der Konfrontation ist, das alle Wahrnehmungen von damals erneut wahrgenommen und in Begleitung des Therapeuten ausgehalten werden um das traumatische Ereignis chronologisch einsortieren und integrieren zu können. Es gibt kein Verfahren das da genauer hinschaut als ein anderes.


    Ganz lieben Gruß
    tina

  • Hallo ihr zwei,
    Ich danke euch für eure Antworten. Mir ist es nun einigermaßen klarer.
    Was ich verstanden habe ist, dass es im Prinzip egal ist welche Therapieform ich durchlaufe, da jede Form Elemente des jeweils anderen enthält.
    Ich hatte mir die Verhaltenspsychologie als "Vorstufe" zur Trauma- und Tiefenpsychologie vorgestellt.
    Jetzt muss ich nur noch die richtige Psychotherapeutin finden und das ist nicht leicht...


    LG Ragnar